Die Valentinstagscheidung
Zum Aufruf kommt die Sache krrrrzzzzt … tönt es durch den Gerichtsflur. Was hat sie gesagt? Ich habe kein Wort verstanden. Aber es ist fünf nach halb zwölf und daher offenbar meine Sache. Auch wenn „meine“ Sache schon auf 11 Uhr terminiert war. Ich stehe auf und mache eine Bewegung Richtung Gerichtssaal. Ich schaue den Mann neben mir an. Wir sind wohl gemeint. Eilig springen wir auf, blicken auf die Bank, auf der wir gesessen haben, ob wir auch nichts liegen gelassen haben. Die Frau, die die ganze Zeit neben uns saß, steht auch auf, blickt in unsere Richtung und folgt uns. Heute ist Valentinstag. Ich halte nichts von diesem romantischen Quatsch. Trotzdem finde ich es makaber, ausgerechnet am vielbeschworenen Tag der Liebe geschieden zu werden. Die Frau, die uns folgt, ist die Ehefrau des Mannes – noch. Die Beiden lassen sich heute scheiden. Sie verstehen sich aber gut und streiten nicht. Ich habe die Frau auch schon kennengelernt. Beide waren schon bei mir. Das erste Mal war das junge Paar im Spätsommer letzten Jahres bei mir. Ich bin Anwalt. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, ich bin eine Anlaufstelle für gescheiterte Ehen. Was man da manchmal zu hören bekommt. Dabei will ich doch nur Geld verdienen – mit Scheidungen und nicht mit Seelsorge. Ich mache Ihre Scheidung schöner als die Hochzeit, habe ich mal einen Anwalt werben sehen. Ich nicke der Frau zu, die schon die ganze Zeit neben uns saß, ziehe den Mann am Ärmel und signalisiere Beiden damit, dass wir gemeint waren und jetzt in den Gerichtssaal gehen sollten, um die Richterin nicht länger warten zu lassen. Aber warum beeilen wir uns eigentlich so. Sie hat uns doch warten lassen. Mal wieder geschlagene 35 Minuten mit Eheleuten auf dem Gerichtsflur verbracht. Wenn man keine Gesprächsthemen hat, fühlen sich schon fünf Minuten wie eine halbe Ewigkeit an. Es ist ja auch nicht so, dass wir nur diese 35 Minuten zusammen gewesen wären. Getroffen haben wir uns ja schon weit vor 11 Uhr, um noch ausreichend Zeit zu haben, den Ablauf des bevorstehenden Termins zu besprechen. Man nimmt ja als Normalbürger nicht aller Tage an einer Scheidung teil. Ich will mich da eigentlich auch gar nicht ausnehmen, also ein Normalbürger zu sein. Auch als Anwalt bin ich nur ein Bürger und eigentlich auch normal, denke ich jedenfalls. Nur weil ich nicht aufgeregt bin und schon öfter bei einer Scheidung war, bin ich doch normal. So haben wir uns also schon um 10.30 Uhr verabredet. Und da man als gewissenhafter Rechtsvertreter pünktlich zu den verabredeten Zeiten erscheinen möchte, fährt man auch rechtzeitig im Büro los und ist dank der Einplanung sämtlicher Eventualitäten, die nur dann eintreten, wenn man sie nicht einplant, deutlich vor der verabredeten Zeit am Ort des Geschehens. Schon um 10.15 Uhr treffen wir uns also alle auf dem Hof des Gerichtsgebäudes. Parkplätze für Mandanten und Anwälte hat es hier nur drei. Da besteht also meist wenig Hoffnung, einen der begehrten Plätze vor er Tür zu bekommen. Ich parke trotzdem auf dem Hof. Nicht, weil ich denke, dass ich als Anwalt überall parken kann, sondern weil ich keine Lust habe, im Februar weit weg zu parken und ewig laufen zu müssen. Draußen ist es nämlich kalt. Vielleicht darf ich als Anwalt ja doch überall parken. Der aufgeregte Mann ist natürlich auch lieber etwas zu früh als zu spät vor Ort, seine Frau natürlich auch. Und sie ist nicht allein, sondern hat den neuen Partner gleich mitgebracht, als Fahrer, weil sie so aufgeregt ist. Na prima. Tolle Situation. Und so stehen wir zur viert reichlich vor der Zeit auf dem Gerichtshof. Erstmal eine Rauchen. Die Eheleute rauchen noch, der neue Mann steht etwas fehl am Platz daneben und ich habe noch Zeit, um ganz unauffällig in meiner Aktentasche zu kramen, um durch einen geschickten Blick in die Akte herauszufinden, in welchen Saal wir eigentlich müssen. Bei diesem Gericht hat es sich der nette Justizbeamte bei der Einlasskontrolle angewöhnt, ganz direkt zu fragen, wo man eigentlich hin will. Am liebsten natürlich in die Cafeteria. Aber die gibt es hier gar nicht. Um nicht ganz dumm aus der Wäsche zu gucken und weder den Saal noch den Namen der Richterin parat zu haben, schaue ich lieber nochmal nach. Aber nichts bleibt unbemerkt und so kommt ganz beiläufig von der perfekt vorbereiteten Ehefrau der Hinweis, dass wir nach Saal 7 Ausschau halten müssen. Ja, ganz genau, antworte ich schnell. Der Valentinstag wird bekanntlich am 14. Februar gefeiert, also im Winter. Also ist es kalt. Also raucht schneller. Ich habe weder Mütze noch Handschuhe. Lohnt ja nicht bei den zwei Schritten vom Auto zur Eingangstür. Nachdem sich der Zigarettenrauch verzogen hat, nicke ich mit dem Kopf Richtung Eingangstür und hoffe, dass den Beiden auch kalt ist und wir reingehen können. Ob der neue Mann friert, ist mir gerade egal. Er ist nicht wichtig an diesem Tag, jedenfalls nicht für mich. Ich wollte eigentlich gar nicht Anwalt werden. Und als ich dann Anwalt war, wollte ich kein Familienrecht machen. Jetzt bin ich aber doch mittendrin. Jetzt noch einen Rückzieher machen? Nein. Es ist ja nicht meine erste Scheidung. Und gutes Geld kann man damit auch verdienen. Warum also nicht. Spaß macht es auch, vor allem am Valentinstag. Haben Sie Ihren Anwaltsausweis dabei? Ich zeige meinen Anwaltsausweis, auf dem noch ein ganz altes und furchtbares Foto prangt, man mich aber trotzdem erkennen oder zumindest erahnen kann. Ich darf an der Kontrolle vorbei und muss auch meine Tasche nicht aufmachen. Die Anderen bitte Taschen öffnen, Jacken ausziehen, nacheinander langsam durch den Metalldetektor. Was ist das immer für eine Prozedur. Aber Sicherheit geht vor. Dass der Anwalt die Waffen oder Stinkbomben in der Tasche haben könnte, hat wohl keiner bedacht. Als Anwalt genießt man wohl noch so viel Vertrauen, dass diese Option gar nicht für möglich gehalten wurde. Wo wollen Sie eigentlich hin, kommt da schon die befürchtete Frage. Ich zucke zusammen. Welcher Saal war das nochmal. Zum Familiengericht sage ich überzeugend. Treppe rauf und dann rechts die zweite Tür. Danke. Ach halt, ich muss noch auf die beiden Eheleute warten. Wo ist der neue Mann? Er muss wohl im Auto warten. Bei der Kälte. Während die Beiden sich der Einlasskontrolle unterziehen und dabei wenig Spaß haben, muss ich an eine andere Scheidungssache denken. Was habe ich damals für Überzeugungsarbeit leisten müssen, weil die Frau sich gar nicht scheiden lassen wollte. Und dann wird der Gerichtstermin am Tag vorher abgesagt wegen Erkrankung des Richters. Alle Arbeit umsonst. Aber die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden. Und als es dann endlich ein dreiviertel Jahr später einen neuen Termin gab, waren alle Zweifel verflogen und wir konnten uns scheiden lassen. Mittlerweile sage ich schon immer „wir.“ Wir lassen uns scheiden. Man, was bin ich schon oft geschieden worden. Haben Sie eigentlich Beide Ihre Ausweise dabei und einer das Original der Eheurkunde? Was für eine Frage, natürlich hat die bestens vorbereitete Ehefrau an alles gedacht und ihren Mann auch vorher noch daran erinnert, es nicht zu vermasseln und seinen Ausweis mitzubringen. Man kann erahnen, warum die Ehe der jungen Leute nicht von langer Dauer war. Gemeinsam gehen wir die Treppe hoch und dann zur zweiten Tür rechts. Saal 7. Nichtöffentlich leuchtet da über der Tür. Die Frau muss das gewusst haben. Der Neue darf nicht mit rein, also kann er auch gleich draußen bleiben. Wer hat auch hier die Hosen an. Ich wittere schon die nächste Scheidung. Aber eins nach dem anderen. Erstmal lassen wir uns heute scheiden, dann muss Gras über die Sache wachsen und dann kann die Frau den neuen Partner heiraten, wenn er nicht schon vorher das Weite sucht, und dann kann das Spiel von Vorn anfangen. Ich schaue auf den Plan, der neben der Tür in einem kleinen gläsernen Schaukasten hängt. 11 Uhr sind wir dran. Die Richterin hat im Viertelstundentakt terminiert. Offenbar alles Scheidungen heute – am Valentinstag. Na die hat Humor. Der Flur ist voll. Menschen und Anwälte. Eine viertel Stunde (Fahrt) reicht manchmal zum Verlieben, aber wohl doch nicht für eine Scheidung. Wir haben Terminstau. Na prima. Noch mehr Zeit mit dem Mann und seiner Frau verbringen. Der Mann ist übrigens mein Mandant. Ich bin sein Anwalt. Auf der Bank werden Plätze frei und wir nehmen diese auch gleich ein. Ich will aber nicht in der Mitte sitzen. Zu langsam, ich sitze in der Mitte. Kann es besser laufen? In der Hoffnung, dass die Beiden ein letztes Mal aneinander rücken, stehe ich wieder auf. Nur nochmal ganz kurz schauen, wer denn heute von den Kollegen noch so alles den Valentinstag im Gericht verbringen darf. Es ist kurz nach halb elf und geschieden werden gerade die 10-Uhr-Eheleute. Naja, wird also noch eine Weile dauern. Kurzer Blick aufs Handy. LTE – na wenigstens was. Ich kann mit guter Geschwindigkeit im Internet surfen und mir die Zeit vertreiben. Also wieder hinsetzen, Handy weiter in der Hand. Die Beiden sind aber nicht zusammengerückt und ich platziere mich wieder in der Mitte. Wie soll man da denn unauffällig bei Facebook durch das Leben der virtuellen Freunde scrollen. Noch schnell das Handy auf lautlos, damit es nicht ständig klingelt, wenn eine E-Mail kommt. Kaum umgestellt, vibriert es schon. Eine SMS. Eine SMS? Wer schreibt denn noch SMS. Es gibt doch WhatsApp. Ach Mist, eine SMS vom Mobilfunkanbieter. Da kam doch gestern schon eine: Sie haben Ihr Inklusivvolumen für diesen Monat zu 80 % aufgebraucht. Ich werde nervös. Ist es heute schon voll aufgebraucht? Ja: Sie haben Ihr Inklusivvolumen aufgebraucht. Um für teures Geld weitere 100 MB zu buchen, klicken Sie hier. Kann es schlimmer werden? Also das Handy wieder in die Tasche und abwarten, bis wir endlich aufgerufen werden. Die Gespräche entwickeln sich schleppend. An der Uni lernt man sowas aber auch einfach nicht. Da werden keine Vorlesungen angeboten zum Thema Kommunikation mit dem Mandanten und seiner Ehefrau in schwierigen Situationen. Und eine schwierige Situation haben wir jetzt allemal. Stattdessen muss man sich Vorlesungen antun zum Thema Verwaltungsrecht und ob man gegen ein Verkehrsschild Widerspruch einlegen kann. Soll ich den Beiden davon erzählen. Alte Schoten aus der Studienzeit. Man was haben wir gelacht. Nein, besser nicht. Aber es wird Zeit, mal zu schimpfen, wie man so schlecht die Termine ansetzen kann. Beide nicken anerkennend. Aber eigentlich ist es auch nicht so schlimm, sie hat Urlaub genommen – natürlich, die bestens vorbereitete Ehefrau – und der neue Schatz holt sie auf Abruf nach der Scheidung ab. Wenn er im Auto nicht erfroren ist. Mein Mandant muss nach der Scheidung auch nicht dringend auf Arbeit. Sein Chef hat ihm angeboten, später zu kommen oder ganz frei zu machen, wenn es länger dauert. Man lässt sich auch nicht alle Tage scheiden. Für die Beiden ist es die erste Scheidung. Sein Chef hat es schon zweimal hinter sich. Aber nicht mit mir. Es ist auch nicht meine erste Scheidung. Aber meine erste Valentinstagscheidung. Plötzlich bin ich aufgeregt. Nein doch nicht. Wozu. Alles Routine. Bloß eine Scheidung. Und sogar ohne Versorgungsausgleich. Na welch ein Glück. Ich sitze in der Mitte zwischen den Beiden und wippe nervös mit den Füßen. Eigentlich wollte ich zum Mittag zurück im Büro sein. Freitags sind alle vom Team zusammen und wir nutzen die Gelegenheit zum gemeinsamen Essen und besprechen allgemeine und spezielle Belange. Gelästert wird nicht. Macht man ja auch nicht. Schon gar nicht über Mandanten. Oder über Richter. Und erst Recht nicht über Kollegen. Nein, machen wir nicht. Hoffentlich schaffe ich es noch. Freitagmittag durch die ganze Stadt bis nach Ost raus. Na prima. Und wehe beim Fleischer gibt es Jägerschnitzel. Das verpasse ich dann. Die Beiden reden auch nicht. Sitzen nur da. Ich werde wahnsinnig. Blick aufs Handy. Eine E-Mail. Aber abrufen macht wenig Sinn bei gedrosseltem Volumen. Hallo. Kurzer blick, kurzes Nicken, kurzes Hallo zurück. Die Tür vom Gerichtssaal öffnete sich und heraus kamen Menschen und Anwälte. Ich kann die Richterin nicht sehen, nur ihren Haaransatz hinter dem Aktenberg. Wer hat da gerade Hallo gesagt, wem habe ich geantwortet. Ach der Becker. Der hat mir noch gefehlt. Nur gut, dass er weiter gegangen ist. Ich habe auch gerade gar keine Zeit für ein Gespräch unter Kollegen. Ich bin beschäftigt. Mit abwarten und Zeitrumkriegen. Da brauchts schon gar nicht den Becker. Was macht der eigentlich in meinem Revier. Konkurrenz belebt zwar das Geschäft und wenn zwei sich streiten, braucht man auch immer mindestens zwei Anwälte. Bei einer Scheidung braucht man aber nur einen Anwalt. Wir sind auch nur zu Dritt. Ich mach das schon alleine, keine Sorge. Den Becker brauche ich dafür nicht. Warum geht der denn nicht weiter. Nicht umdrehen und zu mir kommen. Er dreht sich um und kommt zu mir. Na prima. Kanns noch besser laufen. Na, Kollege, was machen Sie hier? Hat er mich das gefragt, so wie ich hier sitze, eingeklemmt zwischen Mann und Frau. Ich antworte: Terminstau. Er lacht. Ich kann ihm ja nicht sagen, dass hier ist Herr Moll und das ist seine Frau. Die beiden haben vor drei Jahren geheiratet, haben es aber nicht lange miteinander ausgehalten. Junge Leute halt und sie hat die Hosen an und er kommt damit nicht klar. Und so lassen wir uns nach gerade mal drei Jahren wieder scheiden. Draußen sitzt irgendwo im Auto auch schon der Neue. Also halte ich mich lieber knapp und rege mich mit einem Wort gezielt über die chaotische Terminsvergabe auf. Is kalt draußen? Was stellt denn der für Fragen, was sollen denn meine beiden besseren Hälften von mir denken, zwischen denen ich mich so richtig kuschelig fühle und am liebsten gar nicht mehr aufstehen möchte. Frag die Eisbären da draußen, sage ich wieder kurz angebunden. Jetzt geh doch endlich weiter. Er geht nicht weiter. Wir müssen mal telefonieren in der Sache. Ich unterbreche ihn. Ja, ich weiß schon. Muss das denn sein mit dem Gutachter, frage ich. Deswegen wollen wir ja telefonieren. Ja, ok, ich melde mich, aber nicht mehr heute, heute ist Valentinstag. Wäre ihm gar nicht aufgefallen. Dabei hat er sich bestimmt selbst Blumen ins Büro schicken lassen, damit seine Sekretärin denkt, er sei beliebt. Arme Sau der Becker. Endlich weg. So weiter im Text mit den Mandanten. Ach, wir hatten ja gar keine Gesprächsthemen. So, letzte Chance für die Beiden nochmal zusammenzurücken. Ich winde mich und drehe mich hin und her und entkomme dem Sandwich und haste zum Schaukasten. Hach, wir sind schon die Nächsten. Wie schnell ging das denn jetzt. Ich bin begeistert. Was für ein schöner Valentinstag. Was denken Sie, wie lange das noch dauert, fragt die Frau. Sie schaut dabei auf ihr Handy. Der neue Mann hat geschrieben und gefragt, wann sie fertig ist; ihm ist kalt. Hat sie etwa LTE? Keine Ahnung, sage ich. Wir sind gleich dran und dann sollte es ja schnell gehen. Es ist ja alles klar. Nur die Scheidung, kein Versorgungsausgleich. Keine Kinder, nur die Beiden. Kein Haus, kein Vermögen, nur die Beiden. Jetzt kommt ein Gespräch auf. Was die Richterin fragen wird, was sie alles wissen will. Das hatten wir doch schon besprochen. Wird die perfekt vorbereitete Ehefrau doch noch nervös. Ich wiederhole es gern: Sie wird nur nach dem Wann und Wie fragen, das Warum ist egal. Ich hoffe, das können sich die Beiden merken. Ein kurzer Blick in die Akte, was ich zu dem Wann und Wie eigentlich in den Scheidungsantrag geschrieben habe. Ich zeige Beiden die entscheidende Stelle, sie nicken. Verstanden. Sie sind zusammengerückt, ein letztes Mal. Ich kann mich Außen hinsetzen, neben den Mann. Plötzlich fühlt es sich so kalt an. Im Sandwich war es schöner. Handy raus, auf die Uhr schauen. 11.30 Uhr. Seit mehr als einer Stunde mit den Eheleuten zusammen. Eine halbe Stunde Verzug. Ich sehe das gemeinsame Essen und das Jägerschnitzel vor meinem geistigen Auge dahinschwinden. Wenn ich es irgendwann mal hier rausschaffe, das Ehepaar los und im Büro angekommen bin, kann ich mich hoffentlich auf ein reichhaltiges Essen stürzen. Ich esse dann an meinem Arbeitsplatz. Die Anderen werden ja schon fertig sein. Dann habe ich auch endlich wieder Internet und kann E-Mails lesen und vielleicht die nächste Scheidung vorbereiten. Man weiß es ja nie. Heute am Valentinstag scheint alles möglich. Zum Aufruf kommt die Sache krrrrzzzzt … tönt es durch den Gerichtsflur. Was hat sie gesagt? Ich habe kein Wort verstanden. Aber das müssen wir sein. Im Saal angekommen, ist der Stapel schon etwas kleiner geworden und ich sehe auch die Richterin. Unter der Robe schaut ein Wollkragen hervor. Es ist Winter und kalt und Frauen frieren ohnehin schneller. Sie schaut uns alle an, nickt, bedeutet uns, uns hinzusetzen. Wir setzen uns hier hin, sage ich zum Mann. Die Frau anschauend nicke ich auf die andere Seite. Wir Männer sitzen zusammen, sie sitzt uns gegenüber allein, die Richterin auch, aber alles überblickend. Am Valentinstag allein. Wie traurig. Stimmung wie im Western. Wer zieht am schnellsten und schießt zuerst. Geben Sie mir schonmal Ihren Personalausweis flüstere ich meinem Mandanten zu. Die perfekt vorbereitete Ehefrau hat auch schon alles bereit gelegt. Wann geht’s denn endlich richtig los. Wir haben doch keine Zeit. Seit Stunden sind hier am Gericht und nichts ist passiert. Wir wollen endlich geschieden werden. Nach der Verhandlung soll die Richterin den Beschluss schreiben und versenden lassen. Dann will ich auch endlich meine Rechnung stellen. Man muss auch einen Schlussstrich ziehen können. Die nächste Scheidung kommt bestimmt. Für mich auf jeden Fall, für die Richterin auch, für die Eheleute hoffentlich nicht. Das tut mir jetzt leid, aber ich habe etwas vergessen. Ich bin gleich wieder da. Sie können ruhig alle sitzen bleiben. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Was hat die Richterin denn vergessen? Achso, Kassette voll, keine Neue dabei. Dann kann sie nicht diktieren. Kanns noch besser laufen. Wo geht die Frau denn jetzt hin? Sie steht auf und geht Richtung Tür. Wir sind noch nicht fertig. Ja, klar, wir haben ja auch noch nicht mal richtig angefangen. Was für ein blöder Valentinstag. Nur auf Toilette, na gut. Da sitzen wir also allein, der Noch-Ehemann und ich. Schweigen. Die Tür geht auf und die Richterin kommt wieder rein. Na prima. Anfangen können wir aber trotzdem nicht, weil die Noch-Ehefrau fehlt. Ein Wahnsinn heute am Valentinstag. Die Tür geht auf und die Frau kommt wieder rein. Na endlich. Dann kanns ja losgehen. Zu allem Überfluss kommt jetzt noch dazu, dass die Beiden heute vor drei Jahren, es war auch der Valentinstag, geheiratet haben. Die Richterin merkt dies an und bedeutet, sich dafür entschuldigen zu wollen. Ihr sei das bei der Terminvergabe gar nicht aufgefallen. Ob der Termin verlegt werden soll, fragt sie. Kanns noch besser laufen? Die Eheleute winken ab, ich lache die Richterin an und wir machen weiter. Wäre ja auch ein Ding, deswegen jetzt abzubrechen und einen neuen Termin anzusetzen. Irgendwann reichts ja auch. Der Rest ist Geschichte und mein täglich Brot.
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